Erstmals im Jahr 2000 ausgetragen, wird dieser Lauf mit dem Ziel organisiert, auf ein seit mehr als 30 Jahren bestehendes und immer noch ungelöstes Flüchtlingsproblem hinzuweisen und Solidarität mit den Betroffenen Menschen zu bekunden.
So ist der Teilnehmer an diesem Lauf nicht nur für einige Tage in das Lagerleben bei einer Gastfamilie eingebunden, sondern sorgt mit seinem hauptsächlich als Spende zu sehenden Teilnehmerbeitrag auch für die Möglichkeit, Projekte im Bereich von Jugend und Sport in den Flüchtlingslagern zu realisieren.
Das Leben in der Wüste erweist sich dann als sehr karg und ohne große Abwechslung für die Saharauis, die zu 100% auf Unterstützung von außen angewiesen sind.
Informationen zum LaufDie Luft ist noch sehr kühl, ein frischer Wind empfängt uns beim Ausstieg aus dem staubigen Bus. Während der Fahrt nach El Ayoun, habe ich genügend Zeit, über mein Ziel, hier diesen Marathon zu laufen, nachzudenken.
El Ayoun, im westlichsten Zipfel Algeriens gelegen, ist eines von vier Lagern in denen ca. 170.000 Saharauis als Flüchtlinge leben, seit sie vor rund 32 Jahren ihre Heimat Westsahara unter dem Eindruck der marokkanischen Besatzung verlassen mussten. Damals gab Spanien seine ehemalige Kolonie Westsahara überhastet auf, doch bis heute konnte auch unter dem Einfluss der UNO keine geordnete Entkolonialisierung und Rückgabe des inzwischen durch Marokko besetzten Territoriums stattfinden.
Früh um halbneun steht die Sonne schon weit über dem Horizont, doch mit dem eisigen Wind über der endlosen Sandfläche wirkt die Sahara gar nicht wie eine peinigende Wüste.
Die rund 130 Marathonis, die an diesem Morgen die achte Auflage des Solidaritäts-Marathons absolvieren wollen, sammeln sich nur allmählich unter dem Startbanner, mit dem der Wüstensand am Rande von El Ayoun weithin sichtbar als Start markiert ist.
Von den drei Bussen, die uns Läufer erst über das Asphaltband bis zur algerischen Garnisonstadt Tindouf und dann weiter über die schlechten Pisten bis hierher nach El Ayoun gebracht haben bleibt einer für den Kleidertransport zurück. Da drin kann ich mich auch noch in Ruhe umziehen.
Es ist klar, dass der Wind nicht lange so kühl bleiben wird, deshalb kommt auch nur kurze Laufkleidung in Frage. Die freie Haut wird mit Lichschutzfaktor 30 eingeschmiert, die Schirmmütze mit einem Kopftuch, das auch Nacken und Hals vor der Sonneneinstrahlung schützt, ergänzt und die leichten Laufschuhe in überdehnte Perlonstrümpfe eingepackt, um mölichst lange den feinen Sand aus den Schuhen heraus zu halten. Dann kann es eigentlich losgehen. Auch mein Wasserrucksack ist zu etwa einem Drittel mit gesalzenem Wasser gefüllt. Aber ein Problem habe ich doch. Seit der Nacht drückt es mir im Magen, fühle ich mich deutlich unwohl. Keine gute Startbedingung. Aber ich bin doch nicht für den großen Rückzug hierher gekommen?
Am Start herrscht derweil entspanntes Durcheinander, nachdem eine traditinell in saharauischer Tracht gekleidete Schülergruppe gesungen und getanzt hat. Der Ablauf wirkt improvisiert aber sehr herzlich, ich bedaure es schon, hier doch nicht starten zu wollen, als mein Magen massiv und unvorbereitet alles Störende von sich gibt. Das ist überwiegend Wasser, das der Körper offenbar nicht aufnehmen konnte. Schlecht, soviel davon auf einmal an den Wüstensand loszuwerden.
Aber ich fühle mich sehr schnell wieder richtig gut und da der Start einige Minuten Verzögerung hat, bleibt mir Zeit, mich in den schon abgeschriebenen Startblock einzureihen. Kurz nach Neun geht es los, plötzlich ist alles in Bewegung. Eine Spitze bildet sich gleich mit dem Startschuss und zieht das bunte Läuferfeld auch gleich auf Länge. Auf den ersten hundert, vielleicht auch zweihundert Metern laufen einige saharauische Frauen, tief in ihre Schleier gehüllt und Fahnen der Frente Polisario schwenkend neben uns her. Zwei sich in Aufregung befindende Dromedare mit ihren Reitern stieben durch das Läuferfeld. Ich weiß nicht, warum sich auf einmal soviele Bilder, die ich schon vor Tagen in meinen Gedanken von diesem Lauf mir innerlich zurecht gelegt hatte, hier auf einmal ganz real sind. Als wenn ich das Drehbuch schon gekannt hätte, fühle ich mich mit der Situation erstaunlich vertraut.
Die ersten cirka zwei Kilometer der Laufstrecke führen am Rande des Lagers entlang und an einer Art Checkpoint vorbei, der vermutlich der Sicherheit des Lagers dienen soll, aber in der freien Sandfläche ziemlich verloren aussieht. Wir laufen hier auf so etwas wie einer Piste, ausgefahrenen aber festen Spuren im Sand und die beiden Dromedare haben sich längst wieder von dem Stress ihres kurzen Auftritts erholt. Dann ist die Strecke aber auch unübersehbar breit. Es gibt keine Randmarkierungen, der Aufwand wäre viel zu hoch, stattdessen stecken ab und an weiße Pfosten im Sand, die mit blauweißen Bändern gekennzeichnet wurden. Im Gegenlicht sind die nicht immer gut zu erkennen, aber in der frühen Phase des Rennens sind immer auch andere Läufer in sichtweite und der Horizont in weiter Ferne. Bis zum Einschwenken auf die Hauptlaufrichtung am Ausgang des Lagers, in Richtung Südost, kam der Wind von der Seite, inzwischen nicht mehr so kalt wie noch vor etwa einer halben Stunde. Jetzt aber kommt der Wind von vorn und auch die Sonne ist nun ständig direkt im Sichtfeld. Der erste Wasserposten ist bereits passiert. Ein paar Schluck aus der angebotenen großen Flasche habe ich genommen. Nicht gleich übertrieben viel trinken, aber auch nicht drauf verzichten - das könnte sich rächen.
Es bleibt mir nun viel Zeit, die Endlosigkeit der mit Geröll und kleineren Wellen durchsetzten Sandfläche zu reflektieren, die Weite des Horizonts zu erfassen. Er läuft genau einmal um mich herum. Es ist unglaublich. Ich will hier nichts gewinnen, nichts Materielles, laufe mich auf ein gleichmäßiges Tempo ein und lasse die Leute, die es gerne wollen, vorbeiziehen. Hier ist soviel Platz wie nirgendwo sonst.
Kilometer Fünf ist mit zwei weißen, rot bedruckten Kartons im Sand markiert, wie später weitere runde Kilometerangaben auch.
Alles irgendwie normal. Und doch brennt die Sonne, wirbeln die gelegentlich vorbeifahrenden Begleitfahrzeuge mal mehr mal weniger Sand auf. Kilometer zehn kommt erstaunlich schnell, aber es ist auch schon eine Stunde vergangen. Der Lauf ist unbewusst so beeindruckend, dass die Zeit unbemerkt verrinnt.
Gelegentlich wird der Untergrund weich wie Zuckersand und ich habe das Gefühl, als würde es stetig bergauf gehen. Nur ganz sacht, aber doch merklich. Andere Läufer bestätigen mir später diesen Eindruck.
Mit der Zeit steigt aber auch der Stand der Sonne, klettert die Temperatur, nimmt der Wasserverbrauch zu. Diese Sandfläche ist eben doch Teil einer Wüste. Der größten Wüste dieser Erde. Mit der Wärme wird der Lauf auch unangenehmer. Die Zhal der Wasserstellen nimmt deswegen nicht zu, zwei Kilometer Abstand ist aus meiner Sicht auch in Ordnung. Gelegentlich fülle ich mir etwas Wasser in meinen Rucksack, um nicht irgendwann ohne Reserve dazustehen. Ein Sandsturm ist zwar nicht absehbar, aber man kann ja nie wissen. In meiner Nähe laufen einige Italiener im Römerkostüm (ihre Laufshirts sind entsprechend bedruckt) und eine Gruppe Läufer aus Lesotho folgt mir in geringem Abstand eine Standarte mit ihrer Flagge tragend, die sie an jedem Wasserposten gemeinsam mit sich selbst fotografieren lassen. Überhaupt ist der Lauf international ganz gut besetzt. Die Hauptzahl der Läufer kommt aus Spanien, Italien und Algerien sowie Deutschland. Weitere Teilnehmer aus England, Norwegen, Schweden, Südafrika und insgesamt 22 Nationen.
Ich bin bereits in einigen großen Städten Marathon gelaufen, habe die Kühle der Skandinavier in Stockholm erfahren und durfte die unbeschreibliche Euphorie der Amerikaner in New York wie auch in Boston hautnah erleben, die dich für alle Strapazen, die du mit dem Start bei einem dieser Groß-Marathons mit dem aufwändigen Vorlauf auf dich nimmst, mehrfach entschädigt.
Hier hast Du an der Strecke alle zwei Kilometer einen Tisch mit Wasserflaschen zu stehen und zwei bis vier Leute, die dir behilflich sind, sie zu öffnen. Oder ein Pick-Up steht auf der Strecke, dessen Motorhaube als Tischfläche dient. Sonst steht selten jemand an der freien Strecke.
Doch anders in den Lagern: Schon weit vor Auserd kommen dir Kinder entgegen, sitzen Frauen im Sand, jubeln dir entgegen. Menschen, die deine sportliche aber vor allem deine körperliche Leistung honorieren, die du mit dem Lauf in der Wüste dir selbst abverlangst, um ihnen symbolisch zu helfen. Das wird mir hier kurz vor der Halbmarathonmarke klar und läßt mich den Lauf an dieser Stelle sehr emotional erleben. Nicht vergleichbar mit dem Durchlaufen des Brandenburger Tors in Berlin, obwohl dort auch die ganze Anstrengung eines Marathons von dir abfällt und du diesen unbeschreiblich glücklichen Augenblick dich durchlaufen spürst. Sie winken dir hier mit ihrem einzigen Symbol von Stolz, der Fahne der Polisario, viele Frauen sitzen Spalier und schreien dir einen kehligen Gesang entgegen, der durch und durch geht. 'Schreien' trifft den Klang vielleicht nicht wirklich richtig, aber es ist Laut und hat wenig Melodie und ist unvergesslich.
Die Kinder laufen mit dir mit, wollen wissen, wo du herkommst und ob du vielleicht Bonbons dabei hast. Ich hätte doch welche einstecken sollen, im Wasserrucksack wäre dafür natürlich auch noch Platz. An der Halbmarathonmarke, die auch gleichzeitig Startpunkt für die Halbmarathonwanderung gewesen ist, stehen soviel Leute, dass erstens die Strecke nicht mehr zu erkennen ist und ich auch den Verpflegungsstand übersehe. Die Leute empfangen und beklatschen, bejubeln hier jeden Läufer einzeln. Das kann auch anstrengen und ich überhole hier einige Teilnehmer, die inzwischen zum Spazieren übergegangen sind.
Längst hat sich aber mein Magen wieder gemeldet und ich überlege, ob weiter zu wandern vielleicht das Richtige wäre, verwerfe den Gedanken aber gleich wieder. Auf einen vorzeitigen Ausstieg stelle ich mich aber inzwischen ein. Ich sage mir, dass ich auch mit dem Absolvieren der halben Strecke unter den gegebenen Bedingungen schon eine Menge erreicht habe. Andere nehmen an dem 10k, am 5k oder an der Wanderung teil. Jeder tut in diesem Fall was er kann, für die Sache. Auserd zieht sich, die Streckenmarkierung ist jetzt nicht immer eindeutig, die wieder spärlicher werdenden Zuschauer aber kennen den Weg und zeigen mir schmunzelnd, wo es langgeht.
Außerhalb des Lagers dann wieder Einsamkeit, inzwischen laufe ich wirklich alleine und jetzt wird die Strecke etwas hügeliger. Zunächst bleibe ich noch in einer Art Tal zwischen den Dünen, aber eine will schließlich erklommen sein. Das geht im Schritttempo, da der Sand hier wieder einmal weich ist und nachgibt.
Die Sonne hat den Zenit überschritten, nach meiner Uhr sind 2 3/4 Stunden vergangen und zwischen den Kilometern 24 und 25 bleibe ich schließlich stehen. Den Wasserverlust vor dem Start konnte ich unterwegs offenbar nicht aufholen, denn mit leichten Kopfschmerzen bin ich wohl etwas dehydriert und dem dumpfen Gefühl im Magen traue ich auch nicht länger.
Der Wasserposten hier ist ein in die Jahre gekommener Landrover, der mich als Gast aufnimmt und später über Umwege zum Ziel fährt. Dabei ist das Fahren in einem Auto, dass seinen Dienst in einem etwas ebeneren Teil der Erde schon längst beendet hatte, bevor es hier noch einmal zum Einsatz kam, über die gar nicht so ebene Fläche der Wüste ein Abenteuer für sich. Es ist erstaunlich, was das Material an Schlägen, Querrippen und -rillen auszuhalten in der Lage ist.
So endete für mich der Lauf zwar unplanmäßig, aber ich habe hier einmal mehr die Erfahrung gemacht, das mit Sport auch die schwierigsten Lebenssituationen vorrübergehend erleichtert werden, aber auch wunderbare Brücken gebaut werden können. Das ist keine neue Erkenntnis, zugegeben, aber dies zu erleben und vor allem die Freude der Beteiligten dabei zu sehen und zu verinnerlichen, das ist ein großer Gewinn.
Tasächlich den Lauf gewonnen hat der Spanier Pedro José Hernández Sánchez in 2:43:25 vor Daniel Mothibe aus Südafrika in 2:52:09 und Ald Orrzak Ziane aus Algerien in 2:52:40
sowie bei den Frauen Madeleine Lorenz aus Annaberg-Buchholz in 3:30:26 vor Angelina Miró aus Spanien in 3:43:18 und Vera Nystad aus Norwegen in 3:43:21.
000221 | Kontakt | Startseite | Blog | letzte Änderung: 12.03.2008 © Christian Drews